Corona Blues

Yo liebes Tagebuch,

Was geht ab? Alles fit im Schritt, du digitalisierte Papyrusrolle? Ich habe lange nichts mehr hören lassen, war zu beschäftigt mit… ja, mit was eigentlich? Historiker werden diese Phase dereinst mit in Verwunderung hochgezogenen Brauen studieren und sich fragen: Was hat dieser bedeutende Schriftsteller des 21. Jahrhunderts in dieser - künstlerisch gesehen - wenig produktiven Phase seines Lebens gemacht? Ich werde die Antwort hier natürlich nicht bekannt geben, denn auch die Historiker der Zukunft sollen noch etwas zu tun haben, statt sich alles aus Wikipedia zu “saugen” und dann vor ihren minder intellektuell veranlagten Freunden an der Homeparty von Lavinia-Joy, 29, mit Wissen zu prahlen, um eben diese Lavinia-Joy, 29, dann ins Bett zu kriegen. Nicht mit mir!



Anderes Thema: Dieses Corona-Virus, oh diese Pandemie, die “suckt” so richtig, amirite? Verzeihung übrigens, ich will jetzt mehr Jugendsprache und Anglizismen verwenden, die “Kids” finden das cool, und ich fühle mich etwas jünger, wenn ich so rede, immerhin. Diese Pandemie “suckt”, darin sind wir uns einig, aber deswegen das ganze Jahr 2020 zu verteufeln, das geht mir zu weit. Wenn ein Jahr so etwas wie Gefühle hätte, es wäre längst in tiefe Depressionen gefallen. Und ja, Menschen haben im “zwanzigzwanzig” ihre Existenzgrundlage verloren, viele ihr Leben, die Politik hat sich mancherorts von ihrer schlechtesten Seite gezeigt, aber andererseits: Es gab doch auch Schönes!

Ich zum Beispiel war am Wochenende im Zoo. Den Tieren geht es gut, die Zwergziegen hüpften geil und munter durch ihre Anlagen, die Orang-Utans spielten mit alten Bettlaken, ein Silberrücken hat mir kurz in die Augen geschaut und ich habe mir vorgestellt, wie wohl ein Zweikampf, wir beide nackt und ohne Waffen, zwischen uns ausgehen würde. Es war ein toller Tag. Ein wenig getrübt wurde das Erlebnis nur vom warmen Speichel, der sich unter meiner Atemschutzmaske gesammelt hat und mir das Gefühl gab, ich würde an einer alten Auster lutschen. Aber auch das ist zwanzigzwanzig.


Bei Austern denke ich immerhin gleich ans Meer. Das wäre doch mal wieder was: Am Strand sitzen und in den Horizont gucken, die lieblich wogenden Wellen der Adria und die untergehende Sonne im Blick. Geht aber schlecht: Reisen ist jetzt kompliziert. Die Fernseh- und Computerspieleindustrie haben damit ihren Endsieg fast erreicht. Die Menschen sammeln sich abends vor dem Fernseher, auch ich, und gucken bei “Temptation Island VIP” wie sich keine von den bezahlten Prostituiert… ich meine Influencerinnen an Willi Herren ranschmeissen will. Er hat übrigens geweint, als seine Frau über seine Essgewohnheiten geplaudert hat und wie viel Nutella er verdrücken kann. Das habe ich gefühlt.


In den Ferien werfen die Menschen dann die Pleysteschn an und zocken Assassins Creed, bis sie epileptische Anfälle erleiden, tot auf der Couch sitzen bleiben und erst gefunden werden, wenn sie anfangen zu modern und zu müffeln. Todesursache: Corona.


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