Ivan guckt Sachen: Sommerhaus der "Stars" (RTL, 2021)


In meiner beschaulichen Nachbarschaft, in meiner Stadt, meinem Bezirk, meiner Gegend, meinem Block, steht ein Abfallcontainer an einer Strassenecke. Eines dieser grossen, hässlichen Dinger aus depressiv grauem Plastik, die sich mit einem wuchtigen Deckel verschliessen lassen.

Jedes Mal, wenn ich daran vorbeilaufe, riecht es, als ob eine Leiche darin verendet wäre. Hunderte Fliegen surren in einem aufgeregten Tohuwabohu darum herum, einige pechschwarz, andere metallisch grün schimmernd im Licht der Herbstsonne. Ich bin durchaus neugierig, gucke dorthin, wo andere nie auf die Idee kämen, überhaupt hinzugucken und hinterfrage auch schon mal, warum die Ananas auf meiner Pizza Hawaii so seltsam im Abgang schmeckt - solcherlei geistige Rastlosigkeit bringt der Charakter eines Schreibenthusiasten nunmal mit. Aber: In den Container habe ich bislang keinen genaueren Blick hineingeworfen.

Darin würden sich höchstwahrscheinlich ohnehin nur gammelnde Essensreste, anonyme Abfallsäcke und das ein oder andere Gezücht finden, aber sicher nichts Spannendes wie etwa ein Shoggothe aus dem literarischen Universum H.P. Lovecrafts. Ein kosmisches Horrorwesen, das wohl mindestens so riechen dürfte wie mein Nachbarschaftscontainer.

Ohnehin: Unspektakulär Unappetitliches kriegt man zur Zeit auch drei Mal die Woche im Fernseher serviert. Was für mich ideal ist, denn ich bin gerne auf der Couch und vor dem Fernseher.

RTL hat mit seiner diesjährigen Neuauflage vom "Sommerhaus der Stars" tief in den (un)bekannten Gräben der Promiwelt gefischt, weit tiefer als sonst, denn auch wenn ich sonst die obskursten Charaktere der deutschen Celebrity-Halbwelt mit Namen und mindestens einer bezeichnenden Eigenschaft benennen und identifizieren kann wie ein Anthropologe längst für ausgestorben gehaltene indigene Stämme im Amazonasbecken, so erkannte ich bisher nur einen einzigen Bewohner der über Wochen zusammen in einem Haus in der deutschen Provinz eingesperrten Promis, nämlich Mola Adebisi, den ich anno dazumal schon auf dem mittlerweile verstorbenen Musiksender VIVA geguckt habe.

Die anderen Bewohner sind auch für mich, durchwegs, dem Namen nach Unbekannte, manche sogar dem Aussehen nach und man fragt sich, ob RTL nun auch die entfernte Verwandtschaft von Z-Prominenz zum dehnbaren Begriff der "Berühmtheiten" zählt.

Was ich eigentlich damit sagen will: Die diesjährige Staffel vom "Sommerhaus der Stars" ist eine einzige, schwer verdauliche Shitshow, die sich abwechselt zwischen gähnender Langeweile, unerträglichem Cringe, offen ausgelebter Psychopathie (hallo Mike!) und pathetisch rührseliger Selbstüberschätzung. Die auswechselbaren, unbekannten Charaktere machen das Ganze auch nicht besser. Zahlt RTL zu wenig oder ist das "Sommerhaus der Stars" seit dem Debakel um Andrej Mangold, dessen Karriere mehr oder weniger durch die Teilnahme am Formal zerstört worden ist, ein heisses Eisen für Leute, die sich noch ein Leben nach der Show wünschen? Ich weiss es nicht - sollen sich ernsthafte Medienwissenschaftler mit solchen Fragen beschäftigen.

Ich gucke einfach und schreibe, was ich sehe.

Das negative Highlight dieser Staffel ist unser Mike, den ich jetzt aber googeln muss, um zu sehen, ob er wirklich so heisst.

Ja, er heisst so.

Mike sieht auf den ersten Blick ein bisschen lustig aus, nämlich so, als ob seine Stirn dauergeschwollen sei und seine Augen gewaltsam von oben zudrückt. Deshalb hat er auch immer einen finster wirkenden Blick, wie ein richtiges Sigma-Männchen. Finster ist aber nicht nur der Blick, sondern auch alles dahinter, denn Mike ist ein jämmerlicher Lappen, der auf seiner Facebook-Seite wahrscheinlich Sprüche à la "Einen Löwen interessiert es nicht, was Schafe über ihn denken" postet. Hinter der weissen Comic-Sans-Schrift blickt ein mächtiger Löwe mit voller Mähne einsam über die afrikanische Savanne, weit hinten am Horizont erhebt sich eine rote Sonne. Nur: Mike postet solchen Stuss nicht nur auf seinen Sozialen Medien, er spricht ihn auch aus, im wahrhaftigen Ernst, aus voller Überzeugung, vor seiner Frau und versammelter Mannschaft. Leider ist der vermeintliche Löwe ein elendiger Boyfriend, der seine Frau körperlich und seelisch malträtiert und sich dabei eher zum Affen macht, was seinem Selbstbild fast schon mathematisch exakt widerspricht.

Das eigens von mir entworfene Cringe-O-Meter muss ich immer in der Schublade verstauen, wenn Mike Sendezeit hat. Und wenn er spricht, vergrabe ich meinen Kopf in meine Armbeuge und warte, bis die Luft wieder rein ist. Aber was interessiert es einen Löwen schon, was ich über ihn denke?

Zusammengefasst also: Das "Sommerhaus der Stars" auch 2021 in seiner üblichen Pracht, mit einer Menge Unbekannten, ganz wenigen Bekannten, grossem Drama um winzige Kleinigkeiten und den üblichen Verdächtigen, die nach dieser Show dringend einen Psychiater konsultieren müssen.

Viel Spass beim Gucken!


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