Einmal die Oberarme von Till Lindemann, bitte!

Liebes Tagebuch,

Wie geht es dir? Mir geht es so la la. Mein Kopf schmerzt noch etwas. Zum Glück kein Tumor, einfach nur die Nachwirkungen der gestrigen Folge der Bachelorette, und zwar der besonders schlimmen, schweizerischen Fassung dieser weltweit beliebten Kultsendung um eine paarungswillige Frau und eine Handvoll fickfreudiger Männer. Kann man der Bachelorette bitte einen anderen Akzent verpassen? Ich meine das ernst. Heutzutage lässt man sich die Brüste aufblasen, den Penis verlängern, die Nase richten und die Körpergrösse mit einem gezielten Oberschenkelbruch optimieren, aber den Akzent, diesen Ausdruck der Seele und der Herkunft, den kann man sich einfach nicht mal schnell mit einem Skalpell schöner machen. Und wenn die Bachelorette spricht, dann ist das nicht schön, gar nicht schön, es tut weh. 



Es gibt einen Spruch, der irgendwie so lautet, dass hundert Affen in hundert Jahren ein literarisches Werk auf dem Niveau Shakespeares verfassen könnten. Bekannte sagen mir, dass nicht mal ein Affe so schreiben würde wie ich. Nimm das, du altehrwürdiger englischer Poet! Was ich damit sagen will: Keine Ahnung. 

Ich war gestern Abend alleine zu Hause. Freundin N. war an einem Konzert der deutschen Rockband Rammstein in der Hauptstadt des hässlichen Dialekts, Zürich. Durch ihre subtile Schwärmerei für den Frontmann der Band, Till Lindemann, hege ich die leise Befürchtung, dass sie ein Faible für deutsche, stämmige Hünen mit rollendem “R” und arisch-potenter Ausstrahlung hat. Wie soll ich damit dienen, wie bitte!? Auch mein Hinweis, dass Till Lindemann nur knapp einen Zentimeter grösser als ich sei, hat das Leuchten in ihren Augen nicht gedimmt, womöglich hat sie meine Einwände gar nicht gehört. In ihrem Kopf kreisten nur seine riesigen Oberarme, und der arme Verfasser dieses Textes, dieser Chronist der Lebensumstände des kleinen Mannes, verschwand vollends, geriet in Vergessenheit. Nun, vielleicht ist das einfach mein Schicksal. Traurig!


Während Freundin N. also weg war, habe ich die Bachelorette geschaut. Eine existentielle Krise und seichte Fernsehunterhaltung sind eine schlechte Kombination. Die Pizza Quattro Stagioni, die ich, träge auf der Couch liegend, verschlungen habe, hat die Situation auch nicht wirklich verbessert. Beschallt von den Plattitüden einer gentrifizierten Influencer-Schnecke, um die eine Handvoll Männer in knöchelfreien Hosen wie Gasplaneten um einen Fixstern, so kreisten wirre Gedanken in meinem Kopf, die mir keine Ruhe liessen: 


Warum gucke ich die Bachelorette? Mein Fernseher hat rund 250 Sender, läuft da nicht sonst etwas, das ich schauen könnte? Kurze Antwort: Nein. Lange Antwort: Ich könnte natürlich etwas Kluges auf Arte gucken, mich vielleicht sogar weiterbilden dabei und dann an geselligen Treffen mit den Reichen und Schönen ebenso inhaltsreiche und formschöne Anekdoten und Fakten aus der Welt der Kultur wiedergeben. Die Menschen würden an meinen Lippen hängen und verblüfft sein von meiner detaillierten Kenntnis über die Biographie eines jüdischen Pantomimedarstellers in den Wirren des Ersten Weltkriegs. Allerdings: Dafür müsste ich natürlich erst mal Leute kennen, und ich kenne kaum Leute, und ganz sicher keine reichen!


Wenigstens habe ich dich, liebes Tagebuch! Und meine Oberarme werde ich mir operativ aufpumpen lassen, irgendwann…


Kommentare

  1. Was für ein hoffnungsloses virtuelles Leben du führst...

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