Bitte kein Smalltalk

Liebes Tagebuch,

Wenn ich meine geistreichen Vergleiche, eleganten Wortfetzen und actiongeladene Alliterationen so schwungvoll auf deine blanken Seiten schmettere, würde man natürlich glauben, dass ich auch im wahren Leben, wo kein Blatt zwischen mir und meiner Botschaft steht, ein wortgewaltiges Ungetüm bin, an dessen Lippen alle Ohren hängen wie eine Sardine an einer mit einem riesigen, fetten Wurm behangenen Angelrute. Dem ist aber nicht so, und ich muss nun ein Geheimnis loswerden.


Ich bin wirklich schlecht im Smalltalk. Sehr schlecht.
Wenn ich das erste Mal mit jemandem ins Gespräch komme, beim sich kennenzulernen, sich beschnuppern, beim Stimmung lockern, lockert sich bei mir erstmal gar nichts. Ich werde so steif wie die allseits bekannte steife Brise, so unsicher wie ein Dönermann in den Dönerspiess von vor einer Woche, der immer noch da hängt und langsam wirklich ausgetauscht werden müsste, so unbeholfen wie Präsident Biden auf einem Rennrad, no offense!
Ich vergleiche mich in der Welt der Konversationen gerne mit der bei mir beliebten Schweizer Käsesorte "Gruyere", oder, noch etwas beliebter bei mir und daher als Vergleich besser geeignet, einem französischen Blauschimmelkäse: Nur ein Wahnsinniger würde einen Käse direkt aus dem Kühlschrank verputzen. Denn so unmittelbar der Kühlung entrissen, ist er natürlich noch sehr kalt, überhart und der wahre, würzige Geschmack versteckt sich hinter einer Wand aus nebligem Gefrierrauschbild, das neutral, nach gar nichts schmecken tut. Genau deshalb lässt man den Käse zunächst mal mindestens zehn Minuten bei Raumtemperatur stehen vor dem Verzehr, damit er sich akklimatisieren und seine Aromen voll entfalten kann. Das war ein wertvoller Serviceabsatz für meine ganze Leserschaft. Ich tue das für's Karma manchmal.
Zurück zum Thema!
So wie die erwähnten Käsesorten bin auch ich: Zwar verzichte ich liebend gerne darauf, vor anderen meine Aromen zu entfalten, aber auch ich muss mich erst mal akklimatisieren. Muss die Umgebung visuell erfassen, mit meinen Augen, mit was auch sonst? Ich muss ankommen, den Raum begreifen. Deshalb hänge ich in dieser Zeit hilflos an Freundin N., die mir bei der Akklimatisierung hilft, meistens, manchmal aber auch nicht, zum Beispiel dann, wenn sie mich wie aus dem Nichts fragt, ob ich heute meine Zähne geputzt hätte.
Am besten lässt man sich in dieser Smalltalk-Phase nicht von seiner Seite, sonst passiert das, was mir am vergangenen Wochenende bei einem Fest mit Leuten, die ich bisher kaum kannte, passiert ist: Im Gespräch mit einer Dame, mit der ich bis dahin lediglich einige Wortfetzen im Vorbeigehen gewechselt hatte, sprach ich über meine Tattoos. Von denen habe ich einige und sie hätte mich natürlich nach jedem davon fragen können, aber sie fragte ausgerechnet nach demjenigen auf meinem Arm, das eine (mittlerweile) als lesbisch geoutete Comicfigur darstellt.
Ohne ihre weiteren Fragen abzuwarten, sagte ich: Ich mag das Tattoo noch immer, aber die Figur nicht wirklich, denn sie ist eine Hardcorelesbe geworden!
Erst im Nachgang wurde mir bewusst, dass ich mich der jungen Dame, die einfach nur ein unverfängliches Gespräch mit mir gesucht hatte, als homophober Sonderling präsentiert hatte und sie selbst ihrem Äusseren nach auch auf der lesbischen Schiene fahren könnte, oder eben auch nicht. Es bleibt ein Rätsel, womöglich für alle Ewigkeiten ungelöst und mir schlaflose Nächte bereitend.
Ich biss mir auf die sinnbildliche Zunge und erklärte ihr, dass ich nicht etwa irgend etwas gegen Lesben oder Schwule oder Japaner oder Furries hätte, sondern mir nun lediglich die Identifikation zur Figur fehle. Ich glaubte zu erkennen, dass sie angewidert ihren Blick abgewendet hat. Den Rest des Tages hat sie nicht mehr gesprochen, zumindest nicht mit mir.
Nun denn, ich bin kein Politiker, nur ein bescheidener Chronist meines Alltags, ein Sklave der Tastatur - und kann daher nicht jedermanns Liebling sein. Übrigens mach ich die russische Girlgroup Tatu sehr gern! Tolle Musik!

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