Willkommen im neuen Jahr
Ich sehe die Menschenmenge vor der
Brücke, höre die Trommeln und weiss: kein Rüberkommen. Ich
stecke fest im Kleinbasel, denn es ist Vogel Gryff Tag – der Tag,
an dem ein Greif, ein Löwe und einer, der aussieht wie ich, wenn ich
mich drei Tage lang nicht rasiert habe und als Wilder Mann bezeichnet
wird, durch die Stadt tänzeln. Dicht gedrängt stehen Menschen in
dicker Winterkleidung auf der Brücke, Väter tragen ihre Kinder, die
überall hinsehen, nur nicht dorthin, wo die Trommelklänge her
erklingen, auf den Schultern und unter alledem fliesst das grüne
Wasser des Rheins, das mich hier festhält, beschallt vom
militärischen Trommelwirbel, dem Soundtrack dieser und so vieler
Basler Traditionen.
Ich bin ein Star, holt mich hier raus!,
will ich in den Himmel schreien. Doch weder bin ich ein Star noch bin
ich im Dschungel, auch Hoden hatte ich noch nie im Mund, auch wenn
dieser eine Kerl, auf den ihr nicht hören solltet, das Gegenteil
behaupten würde. Was knorpeligen Hoden und Dschungelfrass allerdings
am nächsten kommt und in unseren Breitengraden reichlich verfügbar
ist, ist wohl das Essen bei McDonald's, und so denk' ich mir: Scheiss
drauf, ein bisschen Dschungel muss manchmal sein!, und gehe dorthin,
um nicht draussen in der Kälte stehen zu müssen und mir, nicht die
Hoden, nein -man sollte dieses Wort nicht inflationär gebrauchen-
sondern die Eier, abzufrieren. Zum Glück war noch etwas Geld auf der
Kreditkarte. Es ist bei mir jedes Mal, wenn ich Geld aus dem
Automaten holen will, so, dass mein Adrenalinpegel ins Unermessliche
steigt und ich mich fühle wie ein Dieb, der darauf hofft, die
richtige Kombination für einen mit Schätzen vollgepackten Tresor gefunden zu haben. Doch einen Goldschatz erwarte ich in diesem meinen Tresor
gar nicht, zwanzig Franken schon hätten mein armes Herz zum Jubeln
gebracht, und gejubelt hat es in der Tat, den die Maschine in der
Wand gab das Geld tatsächlich raus, so wie ein gütiger Passant
einem armen Schlucker etwas Geld ins Mützchen wirft, das er vor sich
hingelegt hat.
Und nach dieser Einleitung sage ich:
Liebe Leser, willkommen im Jahr 2014. Die Welt hat sich nicht gross
verändert, ihr seht's. Die gleichen Umstände, dieselben
Gewohnheiten und Abenteuer wie im Jahr zuvor. Doch was für ein Start
in dieses Jahr, selten lief es bei mir so harzig wie in den letzten
Tagen. Zahlreiche Groupies haben mir geschrieben, besorgt um mich,
weil ich seit Dezember gar nichts mehr geschrieben hatte. Ich
beruhigte die hysterischen Hühner, indem ich ihnen ein Bild meines
nackten Oberkörpers schickte und ihnen das selbe sagte, was ich euch
nun sage: Ich war krank, lieber Gott, was war ich krank! Kurz vor
Silvester lag ich den halben Tag im Bett und presste meinen
schmerzenden Kopf gegen dessen kalten Holzrahmen, um den Schmerz, den
ich nicht mal dem Teufel in der Hölle wünschen würde, zu betäuben.
Ich sah vor meinem geistigen Auge einen Tumor in diesem Wunderwerk
der Natur, als das ich mein Gehirn auch bezeichne, heranwachsen,
doch, Fehlalarm! Denn der Schmerz, wenn auch schrecklich, war weniger
ausdauernd als ein Nachwuchsdarsteller bei seinem ersten Pornodreh
und nach einem Tag auch schon wieder fort in die dämonischen
Abgründe, aus denen er mich heimgesucht hatte.
Doch es war mir nur eine kurze Rast
vergönnt, denn gleich darauf folgte ein tagelang anhaltendes Fieber,
dass Taschentücher zu meinen besten Freunden werden liess, wie
damals in den Teenagerjahren, wenn ihr versteht, was ich meine, und
ihr versteht's gewiss, tut ihr nicht? Und gerade als ich mich von der
zweiten Phasen der innigen Liebkosung eines Taschentuchs gelöst
hatte, kam die Übelkeit, die schlimmste aller Plagen, und liess mich
erbrechen, wie ich noch nie zuvor erbrochen hatte.
Kurzum: Ich war bis gestern krank.
Nichts lief mehr. Ich war die Personifikation des Amerikanischen
Budgetstreites, mein Körper der Kongress, mein Geist der schwarze
Präsident.
Nicht mal jetzt, da ich hier sitze und
schreibe, bin ich voll auf der Höhe, denn seit heute Morgen tränt
mein linkes Auge. Was los ist, weiss ich nicht. Ein Auge kann man
schlecht fragen, zum Arzt will ich nicht. Ich halte aus und beisse
mich durch. Ich sitze hier und schreibe, denn das Volk will es. Es
will unterhalten werden von Sängern, Politikern, von tanzenden
Fabelfiguren und vom Fernsehen, manchmal von mir. Und ich gebe, was
ich kann; gebe wie eine liebende Mutter, in guten wie in schlechten Zeiten. Ich will damit nicht sagen,
dass ich eine besonders ausgeprägte feminine Seite hätte. Zugeben
muss ich allerdings, dass mein Herz etwas heftiger gepocht hat, als
ich heute einen Mann sah. Richtig: Einen Mann, keine Frau!
Er war nicht mal besonders gut aussehend, hatte keine Haare, trug
langweilige Konformistenkleidung. Vom Alter will ich gar nicht
sprechen. Vielleicht liegt es daran, dass es der Herr Maurer war, der heute an mir vorbeilief. Ich schwöre das, so wahr ich hier sitze. Den einen Maurer sah ich. Genau, den von der SVP. Mit diesen meinen Augen, von
denen das eine tränt wie die Statue der Muttergottes an jedem
Walfahrtsort der Welt, sah ich ihn. Einen waschechten Celebrity, an
einem Balser Freudentag, begleitet von Militärmusik und umzingelt
von der Spitze der Basler Bevölkerung, während ich mir ungesalzene
Pommes in's Maul schob, das Herz noch immer frohlockend vor Glück,
weil es für einen Zwanziger aus dem Geldautomaten gereicht hatte.
Was für ein Start in das neue Jahr. Was für ein Start.
Finde den Maurer und gewinne - nichts! |
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