Paradiesische Hölle


Liebes Tagebuch…

Da lag er vor mir: Der letzte Rest vom Schnee der vergangenen Feiertage. Dreckig war er und hart, so grau wie meine Laune an diesem Montagmorgen. Tränen kullerten über meine Wangen und froren zu glitzernden Eiskügelchen. Wie Zombies werden heute wieder Tausende von Menschen zur Arbeit schlurfen, dachte ich mir; viele noch mit Schlafkruste um die spröden Lippen und Sand in den müden Augen. Mit heissen, koffeinhaltigen Zaubertränken werden sie versuchen, ihre Lebensgeister zu wecken, doch die wollen einfach nicht und so werden wir alle als leblose Hüllen im Zwielicht des anbrechenden Tages unseren Marsch in den Alltag tun.

Im Internet, das natürlich voll guter Ratschläge und Tipps ist, las ich mal, dass man jeden Morgen, bevor man das Haus verlässt, in den Spiegel sehen und sich selber aus voller Kehle zurufen soll, man sei der Beste! Ich habe das heute versucht, aber als ich mein vom Schlaf aufgedunsenes Gesicht und den Sabber in den Mundwinkeln, die zerzausten Haare und roten Augen im Spiegel des Badezimmers sah, reichte es gerade mal zu einem Raunen, das auch aus dem Schlund eines Dämons aus dem neunten Kreis der Hölle hätte stammen können.

Obwohl Dämonen ironischerweise wahrscheinlich Jobs haben, die ihnen durchaus Spass machen und mit denen sie sich identifizieren können, ganz im Gegensatz zu uns Menschen, und deshalb keine jämmerlichen Motivationssprüche in den frühen Morgenstunden in den Äther krächzen müssen. Jeden Tag gehen sie fröhlich und hoch motiviert an ihre Arbeitsstätten und pieksen den sündigen Seelen in der Hölle die Mistgabeln in die Hinterteile, während rundherum tropisch heisse Temperaturen den Stimmungspegel in himmlische Höhen treiben und die Oberfläche eines Sees aus Lava romantisch vor sich hin schimmert…

Oh, wie wünschte ich mir manchmal, in der Hölle zu sein. In der Echten, wo Freudenfeuer lodern und nackte Ischen um einen Thron tanzen, auf dem ein exotisch aussehender, feuerroter Herr mit Hörnern draufsitzt. Aber wir haben ja nur das hier: Bittere Kälte, einen dunklen Morgen, jeder neue Tag wie der vorhergehende und neben der Strasse ein von Abgasen verfärbter, harter Klumpen Schnee als Erinnerung an die schönen Feiertage, die jetzt hinter uns liegen.

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