Ich, Blockupy


Liebes Tagebuch…

Wenn ich Montagnachmittags aus dem Bett mich zerre, mit Schlafsand in den Augen und Kruste um den Mund, wenn ich mit schlurfenden Schritten meine kalten Füsse über den Boden hinter mir herziehe, den müden Blick vom Licht der Lampe an der Decke fauchend abwenden muss, ahne ich, wie sich ein Zombie in einem der unzähligen Zombiefilme, die über unsere Fernsehschirme flimmern, fühlen muss.

Keine Seuche, keine Umweltkatastrophe, kein verheerendes Virus, nein, der verdammte Kapitalismus hat uns das angetan, liebes Tagebuch.

Ich entschied mich also eines frühen Morgens, was sonst meine Art nicht ist, denn der Tag war noch dunkel und kalt, auszusteigen aus alledem. Das Streben nach Geld dem Streben nach höheren und hehren Zielen unterzuordnen. Doch wohin nur? Von Luft und Liebe alleine lebt man nicht!
Ich erspare mir die nervenaufreibenden Schilderungen der abenteuerlichen Reise und der Dinge, die ich gezwungen war zu tun, um in der letzten Bastion der Gleichheit, der Brüderlichkeit und des Einsatzes für das gemeinsame Wohl zu landen – oh ja, um im sozialistischen Nordkorea zu landen! Die Lichter werden bald ausgehen, so ist das hier im Leuchtturm gegen die Verlockungen des verdorbenen Westen.

Ich hatte heute meinen ersten Arbeitstag. Der Führer hat neben mir gesessen. Ich habe seinen glorreichen Atem im Nacken gespürt, während ich ihm erklären musste, was Facebook und Twitter sind. In der Mittagspause wollte ich zum McDonald’s, doch ich habe in den Strassen Pyöngyangs keinen einzigen gefunden, und das ist gut so, denn die saftigen Burger und krossen Pommes sind Nektar und Ambrosia unserer Erzfeinde. Abends wollte ich neue Schuhe kaufen, doch ich hatte gar kein Geld. Das war nicht weiter schlimm, denn hätte ich das Geld auch gehabt, die Schuhe, die mir gefielen, gab es nirgends in der Stadt.

Mein Magen knurrt, ich muss ins Bett. Ich wünschte, ich könnte davon träumen, wie es damals in Frankfurt war bei der Eröffnung dieses Bankenhochhauses, als wir Genossen von der linken Front die Fahrzeuge des kleinen Mannes und die Imbissbude eines Türken im gerechten Feuer des Klassenkampfes versengten, während hoch über uns in ihren Helikoptern die Ausbeuter, die Banker, die Kapitalisten kreisten und ihren Geschäften nachgingen.

Denen haben wir’s gezeigt.

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