Aus der Rubrik: Ivan guckt Sachen



Eurovision Song Contest 2019 Review (Teil 1)

Am vergangenen Wochenende lief einmal mehr die grösste gesamteuropäische Cringeshow über den Äther: der Eurovision Song Contest 2019. Als waschechter Balkaner, und obwohl Kroatien und Bosnien-Herzegowina diesmal nicht im Finale teilnahmen, war ich natürlich verpflichtet zum Schauen - sogar gegen den Willen meiner Freundin hatte ich mich durchgesetzt. Liebevoll, aber bestimmt, erklärte ich ihr am Abend der Ausstrahlung:
Liebe Freundin, mein Herzblatt! Der Eurovison Song Contest ist eines jener wenigen Dinge, in denen ich armer Südosteuropäer mit schlechten Zähnen mich als gleichwertiges Mitglied der europäischen Familie fühle. Für einen Abend spielt das Bruttoinlandprodukt keine Rolle, auch die politischen Skandale nicht, auch die uns vielmals nachgesagte Rückständigkeit nicht. Nein! Es ist ein Abend der Lieder, der Kunst, des kreativen Wettbewerbs und kreativ - oh das können wir! - manchmal zumindest. Ausserdem verurteile ich gerne andere Nationen und lästere über deren Auftritt! In diesem Sinne: Bitte lass uns schauen!
Und wir schauten in der Tat, was an jenem Abend in Tel Aviv, dem diesjährigen Austragungsort, geboten wurde. Jeder einzelne Interpret wurde nach der Ivan'schen Cringeskala, die in monatelanger Arbeit von mir teilweise mitentwickelt wurde, gemustert und abgeurteilt. Hier nun die offizielle Wertung, nach Reihenfolge des Auftritts am Finalabend:
Malta ist ein kleiner Inselstaat, der früher von Kreuzfahrern bewohnt wurde, wenn mich meine beachtlichen Geschichtskenntnisse nicht täuschen. Doch die Kreuzfahrer sind schon lange verschwunden, Bäume gibt es übrigens auch nicht viele. Malta ist so kahl wie ein frisch rasierter Katzenbauch vor einer Kastration. Traurig. Ähnlich traurig war auch der Auftritt der maltesischen Vertreterin. Sie und ihr Lied werden bald in Vergessenheit geraten, genauso wie die glorreiche Geschichte Maltas. Deus non vult!
Albanien, das glorreiche Land der Shqiptaren, schlug mit seinem Lied und der Interpretin wirklich stark aus auf dem Cringe-o-Meter. Plötzlich roch es sogar in meinem Wohnzimmer nach Pathos und abgestandenem Patriotismus, vielleicht waren es aber auch nur die Käsecracker, die ich ass.
Die Tschechische Republik versorgt die kroatische Tourismusindustrie seit Jahren mit Millionen von Euros, die mit den Menschen in den Sommermonaten an die Küsten meiner alten Heimat strömen. Ich habe deshalb eine gewisse Sympathie zu diesen hübschen und freundlichen Menschen und werde kein böses Wort über diejenigen verlieren, die die Altersvorsorge meiner Eltern sichern. Nur so viel: Das Lied war absoluter Mist und die Tschechen sollten sich wirklich im Kollektiv schämen, derart blasse Wichsgrinser nach Tel Aviv geschickt zu haben.
Deutschland: Hahahahaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahahhhhahaaahaaaahhaaaaaaaaahh-haaaaahhhhhaaaaaahhhhhah. Was ich damit sagen will: O Punkte aus der Zuschauerwertung.
Russland hat viele Sachen zwielichtigen Charakters: Langzeitpräsident Putin, ein landesweites Alkoholismusproblem, oder auch die Tatsache, dass ab und zu mal Grenzen überschritten werden, im sprichwörtlichen Sinne, mit Panzern und Armeeverbänden. Ukrainer hassen diesen Trick! Im Gegensatz zum monströsen Moloch, das dieses Land in den Augen vieler ist, war der russische Beitrag jedoch bieder, frei von Kanten und so öde wie die Tundra Nordsibiriens.
An Dänemark, das ein bisschen klingt wie "Dönermark", was wiederum ein von mir erfundener Begriff für den letzten Euro ist, den man für den Erwerb eines Döners braucht, scheiden sich die Geister. Nicht wirklich. Dänemark hat genau das vollbracht, was man am Eurovision Song Contest auf keinen Fall tun sollte: In Vergessenheit geraten, untergehen, nicht auffallen. Schande!
San Marino sollte auf Schadensersatzforderungen verklagt werden, denn das Zuschauen tat weh, sehr weh. Der Sänger Serhat, der dem Namen nach ein türkischer Landsmann ist, sang mit der Inbrunst eines verendenden Elches ein Lied, das im siebten Kreis der Hölle komponiert wurde, oder auch im Studio von Dieter Bohlen, wenn Dieter Bohlen einen sehr schlechten Tag hat und sein Studio wegen eines Wasserschadens unter Wasser steht. Das lyrische Meisterstück ergoss sich in Wiederholungen von "Nanana", und Kenner wissen: Ist ein "Nanana" in einem Lied, ist das Lied meist nur "Solala". Aber dieses Lied war weit weniger als nur "Solala". Man munkelt, der glatzköpfige Serhat habe sein Haupthaar erst bei der Komposition und dem Gesang des Liedes verloren. Ich glaube das auf Anhieb.
Nordmazedonien, früher bekannt als Nur-Mazedonien, schickte ein politisch korrektes Empowering-Lied für Frauen nach Tel Aviv. Und wer bin ich, darüber zu urteilen? Die Sängerin hatte es für ihre Töchter komponiert, und nur ein Herz aus Stein und Eis könnte diesem Umstand mit Zynismus oder Boshaftigkeit begegnen. Ausserdem haben die Mazedonier gerade eine schwere Zeit hinter sich - sie mussten ja praktisch den Namen ihres Landes ändern. Jetzt sind sie in Namensvetterschaft mit illustren Vorzeigestaaten wie Nordkorea oder, Gott behüte, Nordsudan. Ich gönne den ehemaligen Landsmännern- und Frauen daher ihre ziemlich gute Platzierung. Immerhin ein kleiner Trost!
Die Schweden gelten als die attraktivsten Menschen Europas, in Schweden ist es daher wohl gar nie "Too Late For Love", auch wenn der schwedische Beitrag diesen Titel trägt. Die Schweden sind übrigens auch die Musterschüler des Eurovision Song Contest, aber was wollen sie uns wirklich mit ihrem Lied sagen? Dass auch der attraktive schwedische Mann seiner attraktiven schwedischen Frau nach 22:00 sagt, es sei heute zu spät zum Liebe machen? Kaum vorstellbar, denn die Schweden arbeiten doch alle nur Teilzeit, das bei vollem Lohn, sind somit auch Abends noch frisch und ausgeruht. 0 Punkte wegen absolut fehlender Logik.
Slowenien trat dieses Jahr mit dem - und ich meine das frei von jeglicher Ironie - allerbesten Lied in Tel Aviv auf. Leider Gottes für die Slowenen wurde ihr verdammt gutes Poplied von einem Pärchen vorgetragen, das die morbide Ästhetik von Jüngern eines nihilistisch-satanistischen Weltuntergangskultes für sich gepachtet hatte. Damit kann man beim Eurovision Song Contest keinen Erfolg haben, auch wenn das Lied noch so gut ist und das Talent der beiden aus jedem gesprochenen Wort und jeder Note über die Zuschauerköpfe donnert. Nicht am Eurovision Song Contest, wo man erwartet, dass Omas, die so alt sind wie der Urkontinent Pangaea selbst, an Mischpulten stehen und DJ-s imitieren oder in Strapsen gekleidete Männer mit Bärten in Strapsen gekleidete Frauen mit Bärten spielen. Die Slowenen aber sind Sieger meines Herzens. No cringe hier, nur pure Liebe!
Wer sich den Beitrag von Zypern angeschaut hat, dem dürfte vor allem das Outfit der Sängerin in Erinnerung geblieben sein. Das Lied, weniger. Heutzutage strömen Scharen junger Leute, die wirklich sehr gut drauf sind und nur den Sommer als Jahreszeit akzeptieren, nach Zypern, um ihr Gehirn in den Alkoholfluten Ayia Napas zu ertränken. Die Zyperianer oder Zypressen, weiss Gott,wie sie sich nennen, sollten der touristischen Sauf- und Partyindustrie wirklich einen Riegel vorschieben, ausserdem sollte sich die zyprische Sängerin etwas Richtiges anziehen.
Die Niederlande sind das Land der Dämme, des legalisierten Drogenkonsums und des "Bitte getrennt"-Zahlens. Ausserdem noch das Siegerland des diesjährigen Eurovision Song Contest. Wie es genau dazu kam? Ich kann es nicht beantworten. Vielleicht war das Lied gut, vielleicht hatte der Sänger Charisma, vielleicht hat er eine gute Show geboten. All das muss an mir vorbeigegangen sein. Vielleicht erblinde ich langsam - Marijuana soll dagegen helfen.
Griechenland schickte "Marina and the Diamonds" an der Start, nur ohne Marina und ohne die Diamonds. Die griechische Sängerin Katerine Duska hatte die aussergewöhnlichste Frauenstimme des diesjährigen Eurovision Song Contests, bei mir aber schwirrte während ihres Auftritts nur eine Frage im Kopf herum: Ist Griechenland eigentlich noch immer verschuldet? Hat die Troika ihre Arbeit getan? Sehen die Deutschen ihr Geld je wieder? Und überhaupt, wann gehe ich wieder mal griechisch essen?
Teil 2 mit den übrigen 13 Ländern folgt. In Bälde.

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