Sterbe ich jetzt?

Liebes Tagebuch…

Mir geht es nicht gut, wirklich nicht. Ich habe die Nacht im Halbschlaf verbracht, geplagt von Träumen, wie “kein Sterblicher sie zu träumen je gewagt vorher” - dass ich Pizzakruste ohne Mayonnaise esse beispielsweise - nur um in diesen kurzen Episoden des Schlafs von einem Schmerz unter meinem linken Auge geweckt zu werden, der sich so anfühlte, als würden tausend Würmer, die den tiefsten Untiefen der Hölle entsprangen, aus dem Inneren heraus meine einstmals rosigen Wangen zerfressen. Alles hatte gestern mit einem mühseligen Schnupfen begonnen und sich dann, je weiter der Abend voranschritt, zu dieser abismalen Pein entwickelt, von der ich soeben berichtete.

Gibt es das Wort “abismal” auf Deutsch überhaupt? Ich weiss es nicht und es spielt auch keine Rolle. Menschen, die im Sterben liegen, dürfen auf Grammatik und kongruente Sprache pfeifen - also hört mich pfeifen, denn im Sterben liege ich, auch wenn ich jetzt gerade auf einem wenig bequemen Bürostuhl sitze und mich mit letzter Kraft darin halte! Ich pfeife auch auf die gesellschaftliche Ausgrenzung, pfeife auf die Verachtung, die mir entgegenschlägt, weil ich meine Pizzen mit Mayonnaise garniere. Gesellschaftliche Konventionen sind beim Genuss von Pizza für mich kein Massstab und keine Leitplanke, waren es nie! In dieser Hinsicht bin ich ein Rebell. Um es in den leicht abgewandelten Worten eines ehemaligen Fernsehstars zu sagen: Die Nudel ist gut, die Nudel ist schmackhaft, man kann die Nudel machen kalt, man kann Nudel machen warm, die Nudel ist ein ewiges Gericht!

Das alles denke ich auch, nur nicht über die Nudel, sondern über die Pizza. Ja, vielleicht werden die Menschen nach meinem Tod in dunklen Kleidern und mit aufgespannten Regenschirmen, um sich vor dem weinenden Himmel zu schützen, an meinem Grabe stehen und denken: 

Ok, er war schon meistens nett, liebte seine Familie und schrieb seinen Freunden auf Whatsapp innert nützlicher Frist zurück manchmal - aber vergessen wir nicht, er hat seine Pizzen mit Mayonnaise beträufelt! Sagt man “beträufelt” bei Produkten aus der Tube? “Bestreichen” würde nicht passen, denn bestrichen hat er die Pizzen nie, nein wirklich nie, nur punktuell, ja doch, das passt schon - beträufelt, insbesondere im Bereich der Kruste, sofern diese nicht mit Käse gefüllt war! 

Und dann würde sich die versammelte Trauergemeinde schweigsam abwenden und durchs nasse Gras zurück zu ihren Autos watschen und die nassen Schuhe würden dann dieses komische Quakgeräusch abgeben, das nasse Schuhe nunmal machen. Alles ziemlich würdelos, so wie ich es mit der pizzalastigen Eulogie und den quakenden Schuhen beschrieben habe, aber vielleicht ist das nunmal das, was mich erwartet. Eigentlich kann es mir auch egal sein, denn ich werde ohnehin friedlich entschlafen und in ewiger Ignoranz, die den Toten vorbehalten ist, in meinem Grabe liegen. Aber ich werde darauf achten, dass ich zumindest nicht in der Regenzeit abtrete, sondern eher im Sommer. Trockene, nicht-quakende Schuhe würden schon viel ausmachen und dem Ganzen etwas mehr Würde verleihen.

Und nun lasst mich, ich gehe meinen Schmerz betäuben.


Kommentare

Beliebte Posts