Ode an meinen Adidas Trainingsanzug

Liebes Tagebuch,

Ich sage es, wie es ist: Meine Freundin findet es unglaublich sexy, wenn ich meinen schwarzen Adidas-Trainingsanzug trage. Ich sehe darin aus wie ein jugoslawischer Mafioso oder Zuhälter, was bei nicht wenigen Frauen gut anzukommen scheint, auch im Jahr 2020, dem Zeitalter des postmodernen Feminismus. Ich tue ihr den Gefallen gerne und trage tagein, tagaus, die mit den berühmten drei Streifen geschmückte Klamotte - auch deshalb, weil es unglaublich bequem ist. Ausserdem ist der gemeine Trainingsanzug so etwas wie die inoffizielle Tracht balkanischer Männer, in etwas geringerem Masse auch Frauen, daher huldige ich zugleich meinem kulturellen und sozialen Erbe.

Jeden Abend sitze ich also mit dem schwarzen, weichen Stoff um die behaarten Männerbeine, auf der Couch. Es fühlt sich gut an: Ich kann den Schneidersitz machen, ich kann mich hinlegen, ich kann mühelos aufstehen und mir in den Schritt greifen, wenn Bedarf besteht - nirgendwo zwickt und zwackt es. Auch dann nicht, wenn ich soeben einen Eimer Ben&Jerry's eingeworfen habe. Hoch lebe die Elastizität von Textilien! Meine schnöden Jeans haben keine Chance dagegen. Sie liegen irgendwo verwurstelt in den Untiefen meines Kleiderschranks. In naher Zukunft werde ich sie vollkommen vergessen haben und erst Jahre später beim Aufräumen wiederfinden.

Dann werde ich mich daran erinnern, was für ein seltsames Kleidungsstück ich damals, in den 20er Jahren nach dem Millenium, getragen habe.

Nun ja, vielleicht auch nicht, denn Trainingsanzüge gelten noch immer als Kleidung, die nicht ganz so passabel für die Aussenwelt ist, im geschäftlichen Umfeld sind sie auch nicht gern gesehen. Man gibt sich gleich den Anstrich von asozial und RTL2. Ich selbst bin zwar immun gegen solche Labels, da ich in einer Familie mit einem waschechten Kacheltisch und in einem Block aufgewachsen bin und mich daher in den Kategorien solcher Schubladen wohlig "heimisch" fühle, aber man will ja nicht gerade sein täglich Brot aufs Spiel setzen, also verzichte ich vorerst darauf, meinen lieben Trainingsanzug zur Arbeit zu tragen. Stattdessen zwänge ich mich weiterhin in die engen Hosen und ein Hemd mit oder ohne Blümchenmuster, bevorzugt aber mit Blümchenmuster, denn ich mag Blümchenmuster.

Auch deshalb wäre es praktisch, wenn ich vom Schreiben leben könnte: Ich schwöre, dass ich den ganzen Tag nur in bequemer Kleidung durch mein Schriftsteller-Anwesen schlurfen würde, nicht selten auch mit einem Glas Rotwein in der Hand und einer Zigarette im Mundwinkel - aber geraucht wird nur im Garten des Anwesens! Keine zehn Pferde würden mich dazu bringen, etwas "Anständiges" anzuziehen.

Bis jetzt ist all das jedoch nur eine leise Hoffnung, ein Traum. Ein altbekanntes Sprichwort sagt: Zieh dich für den Job an, den du haben willst.

Nun denn, Gott und ihr kosmischen Mächte, seht mich an in meinem Trainingsanzug der Marke Adidas und gebt mir den Job, der zu diesem Outfit passt! Danke im Voraus!

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