Imagine

Ich lebe im Einzugsgebiet einer Stadt, in der sich Hund' und Katz' und Schwarz und Weiss "Gute Nacht" vor dem Schlafengehen zurufen. Die Müllmänner verrichten gewissenhaft ihre Arbeit und nie sieht man Müll auf den Strassen rumliegen und faulen. Von Zeit zu Zeit lungern am Bahnhof ein paar Penner rum und grölen tierähnliche Laute, während sie sich besaufen. Und selten, ganz selten, liest man in den Zeitungen, die man sich morgens aus den Zeitungskästen fischt, eine Schlagzeile von einer jungen Frau, die zu spät in der Nacht unterwegs war und von geilen Männern belästigt oder gar vergewaltigt worden ist.
Diese Stadt grenzt unmittelbar an die Staaten Frankreich und Deutschland und aus beiden kommen Arbeitskräfte hierher und kaum jemand schiesst sich mal über den Haufen. Von Nazis keine Spur; gerade kürzlich hat die Einwohnerversammlung eines Quarties meiner Stadt die Einrichtung eines Asylwohnheims im selben Quartier bewilligt; keine Demonstrationen, keine Klagen.

Die Stadt Basel, eine Bastion der Normalität und Offenheit, umgeben von Normalität und Offenheit.

So kann es natürlich nicht weitergehen: Man muss ein Zeichen setzen. Das dürften sich auch die jungen Menschen gedacht haben, die eines Tages um sich blickten, die Missstände auf der Welt mit klarem Blick erfassten und nebenbei noch was für das Kultur- und Nachtleben Basels tun wollten. Die Förderung und Ausweitung des Nachtlebens, das ist tatsächlich eine grosse Sorge der jungen Menschen in Basel. Nie ist genug los, Basel ist provinziell!
Zum Glück haben diese Menschen das "Imagine" aus dem Boden gestampft. Alljährlich will man mit dem Openair im Herzen Basels ein Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus setzen. Wie tut man's am Besten? Laut muss es sein und trinken muss man können. Saufen gegen das Vergessen, feiern gegen Fremdenhass.
Für sowas bin ich, ohne Frage, immer zu haben. Ging hin, sah, und ging auch schon bald wieder heim. Die Botschaft des Openairs lässt sich auf zahlreichen Schriftzügen lesen. Sonst aber kriegt man nicht allzu viel davon mit. Die Musik, durchwegs von recht unbekannten, jungen Bands dargeboten, hat inhaltlich rein gar nichts mit dem Gehalt des Festes zu tun. Radio- und Hipsterscheisse, wie man sie täglich auf Radio X hören könnte, wenn man sich den Schrott antäte. Ich wollte natürlich keine miese Stimmung verbereiten, also soff ich mit. Dabei kann man sich schön umschauen und schauen und schauen. Und was sieht man? Eine junge Frau, äusserlich ganz offensichtlich an Rihanna angelehnt, geniesst auf den Schultern ihres weissen Freundes die Musik. Oki, das ist schon mal recht multikulti. Vor der Hauptbühne auf dem Barfüsserplatz tanzt eine hagere Frau mit strähnigen Haaren und aufgedunsenem Gesicht, gelinde gesagt leicht zugedröhnt, mit unförmigen Bewegungen durch die Menge. Jeden Song bejubelt sie mit lautem Grölen; klingt dann ganz ähnlich wie die Rufe derjenigen, die ihre Tage vor dem Bahnhof verbringen. In ihrer Ekstase läuft sie dann einmal zu zwei Afrikanern, umarmt die Beiden und sagt ihnen was, das ich nicht verstehe. Verstehen muss ich auch nichts, denn am Gesichtsausdruck der beiden Männern lese ich ab, dass sie peinlich berührt von der wohlwollenden Aktion zur Völkerverständigung sind. Auf halbem Weg zwischen Haupt- und Nebenbühne entdecke ich eine Tafel, die mit Bildern von Unbekannten beklebt ist. Darüber prangt der Titel: Finde den Schwulen, Finde die Lesbe
Sinn des Spiels dürfte wohl sein, den Leuten klar zu machen, dass Schwule und Lesben Leute sind wie du und ich und nicht wie siebenköpfige Aliens aussehen, die in tänzelnden Schritten durch die Stadt flanieren, während sie eine schneckenschleim-ähnliche Spur hinter sich herziehen? Ob man das auch ohne dieses Spiel gewusst hätte? Hoffentlich; das hier wirkt wie armselige Anbiederung.
Eins haben die meisten Leute, die man hier sieht und die an einem vorbeilaufen, gemeinsam: Top-gestylt und gekonnt relaxt und hip wirkend sind sie. Mit jedem Schluck des teuren Biers mehr, den ich in mich reinkippe, wird meine Stimmung schlechter. Ich habe leider nur die alte Jeans meines Vaters an.

Das "Imagine": Weniger eine Bühne für Toleranz und gegen Fremdenhass als eine Plattform für Geltungssüchtige und Selbstdarsteller. Was soll ich sagen, liebe Leute. Mit Musik, Saufen, Tanzen und Schick-sein hat noch keiner die Welt zum Besseren gewendet. Ich lasse, bevor ich gehe, 10 Franken in der Kasse für "Terre des hommes". Möge man damit fernab von Basel, wo die Leute nicht zur Lösung ihre Probleme, wie gesagt, Musik hören, saufen, tanzen und schick-sein können, etwas Sinnvolles anstellen. Doch ob irgend jemand das Zeichen, das an diesem Wochenende in Basel gesetzt worden ist, wahrgenommen hat, weiss ich nicht. Vielleicht, weil man nicht mal als Anwesender darauf käme, welches Zeichen dies überhaupt hätte sein sollen.

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