Schönheit im Dreiländereck

Es gibt Veranstaltungen, die habe ich noch nie besucht in den 24 Jahren, die ich mittlerweile auf der Erde verbracht habe. Ich war z.B. noch nie in einer satanistischen Messe, habe noch nie einem Guggenkonzert auf dem Barfüsserplatz während der Basler Fasnacht gelauscht und noch nie war ich an einer Miss- und Misterwahl. Das hat sich vor ein paar Wochen geändert. Ich habe meine Biographie erweitert, habe mein Leben um ein weiteres Ereignis verschönert, habe mich prägen lassen: Ich war Zuschauer an so einer Miss- und Misterwahl! Und zwar nicht an irgendeiner, nein, ich habe zugesehen, wie man die schönsten Menschen aus dem Dreiländergebiet von Schweiz-Deutschland-Frankreich sucht. All das im Stücki, dem prächtigen Kommerzkoloss inmitten meiner ehemaligen Heimat, im Kleinhüningen, der ersten Station des kleinen Ivan, als er in den Wirren jener Zeit in der Schweiz gelandet war.

Ich lief über eine preisgekrönte Brücke

Der Himmel ist von Wolken bedeckt, grau. Es ist nicht kalt, doch  manchmal weht ein Wind heran, ein schneidend kalter, der sich unter den Mantel zieht, den ich an jenem Samstag trage, als ich auf dem Weg ins Stücki bin. Meine Begleitung: Meine Freundin M. Im Kaufhaus selbst haben wir uns mit S1 und S2 verabredet. Man will ein so bedeutendes Ereignis nicht alleine begehen. Man will doch Leute dabeihaben, um sich auszutauschen, das Gesehene zu verarbeiten. Wie so oft begehe ich den Tag mit einem Irrtum: Ich war davon ausgegangen, dass die Wahl am Abend stattfindet, jetzt allerdings, da ich aus dem Tram an der Endstation Kleinhüningen aussteige, ist früher Nachmittag. Die Scheissveranstaltung beginnt schon um 14:00 und gemäss dem Aushang, den ich wegen der abgebildeten männlichen Schönheitskönige gelangweilt und durchaus angeekelt überfliege, ist um 18:00 auch schon wieder Schluss. Besaufen kann ich mich um diese Zeit nicht, dabei wollte ich das Spektakel im schwer angetrunkenen Zustand angehen. Ich denke positiv, führe mir vor Augen, dass ein nüchterner Kopf viel besser in der Lage ist, das Gesehene zu analysieren und zu verwerten. Immerhin habe ich etwas erlebt, das zumindest als ein klein bisschen spektakulär bezeichnet werden kann. Ich lief über eine preisgekrönte Brücke: Preisgekrönt von Velofahrern, weil sie eine enorme Bereicherung für eben diese Velofahrer darstellt. Ich denke, dass ich das Schild, das die Laufenden über die zuvor geschilderte Ehrwürdigkeit in Kenntnis setzt, gar nicht bemerkt hätte, wenn ich besoffen gewesen wäre. Glück gehabt.

Die Bühne ist so schäbig wie die Knie von Christa Rigozzi

Wir betreten das Stücki durch den massiven Haupteingang. Allerdings sind diese Worte der Beschreibung des Dagewesenen nicht würdig: Der Haupteingang ist vielmehr eine Pforte, ein Portal in eine Welt, in der sämtliche Wünsche erfüllt werden und alles erworben werden kann, wenn man nur, ja, wenn man nur das nötige Kleingeld hat. Ich habe es nicht. Aber schauen ist gratis. Und so stehe ich einige Minuten später mit meiner Freundin M, mit S1 und S2 vor der Bühne, auf der die Schlacht zwischen den Schönsten der Schönen stattfinden soll. Das sind sie, die Bretter, die die Welt bedeuten. Pompös oder irgendwie Glanz verstrahlend ist das Ganze allerdings nicht: Die Bühne ist wirklich mickrig, deine fette Mutter würde darauf gerade noch Platz finden. Eine gewisse Enttäuschung stellt sich bei mir ein. Besser wird es auch nicht, als Christa Rigozzi auf die Bühne tritt. Sie ist Moderatorin des Anlasses, gemeinsam mit einem schmierigen Franzosen aus dem Elsass oder sonst wo her, der aussieht wie ein Schlagersänger, der seine besten Zeiten hinter sich hat. Christa ist in echt, wenn man sie so vor sich sieht, wirklich hübsch. Wenn man ihren Akzent hört, möchte man davon absehen, sie zum Schweigen zu bringen, indem man ihr etwas, ihr wisst schon was, in den Mund steckt. Die Frau hat allerdings wirklich unschöne, knubblige Knie. Mir wäre das natürlich nie und nimmer aufgefallen, doch S2, die aufgrund ihrer geringen Körpergrösse unter Komplexen leidet, bemerkt dies natürlich sofort und weist mich darauf hin. Vielen Dank auch. Die nächsten paar Minuten, etwa bis dann, wenn  die ersten Kandidaten auf der mickrigen Bühne zur Vorstellung auflaufen, werde ich auf die Knollen starren und mir einreden, dass das, was ich sehe, doch gar nicht so hässlich ist.

Bei der einen Kandidatin dachte ich an Edgar Allan Poe

Es gibt Sexisten und Faschisten, die behaupten, Leute, die ihre Karriere durch die angeborene Ästhetik vorantreiben, hätten keine Persönlichkeit, keinen Charakter. Die hätten mal die erste Kandidatin sehen sollen, die die Bühne betritt. Eine blonde Französin, etwa in meinem Alter, gekleidet in einem Businessoutfit. Als ich sie mir ansehe, wie sie die Bühne abschreitet, als ich ihr in die Augen sehe, ihren Blick zu lesen versuche, kommt mir eine Zeile aus dem "Raben" von Edgar Allan Poe in den Sinn:

In ihren Augen, eines Dämons Träume schwelen

Verzeihung, ich habe keine Ahnung, ob ich "schwelen" richtig geschrieben habe. Spielt auch keine Rolle. Die Frau sieht so aus, als ob sie einem nach dem Koitus einen Eispickel in die Brust rammt oder wahlweise das Geschlecht abschneidet und in dann im Kühlschrank aufbewahrt, nur für den Fall. Ich erinnere mich jetzt, viele Wochen danach, noch gut an sie. Die übrigen Kandidaten indes können nicht mit Wahnsinn auftrumpfen. Die meisten sind grundsolide, in der Gesellschaft integrierte und gut ausgebildete Menschen und damit haben sie immerhin mir schon einiges voraus. Die Veranstaltung zieht sich hin. Jeder Kandidat wird im Modus "Fremdschämen" nach seinen Vorlieben und charakterlichen Eigenschaften befragt. Des Franzmannes liebste Worte sind "Bravo", seine bevorzugte Geste der Daumen nach oben. Irgendwann mag ich nicht mehr. Rigozzis engelsgleiche Schönheit vermag mich auch nicht an diesem Ort zu halten. Ich, M, S1 und S2 beschliessen einstimmig zu gehen. Die Musik ist blöde, die Fragen stupid, das Benehmen der Jurymitglieder ist grenzdebil. Ein weiteres Mal bereue ich, dass ich mir das ganze Spektakel nicht betrunken antue.

Mein Fazit

Wir sitzen bei S1 und S2 zu Hause, ich habe endlich ein Bier in der Hand. Während wir in der Kälte draussen vor dem Haus sitzen und rauchen und über das Gesehene diskutieren, ziehe ich meine Bilanz, mein Fazit. Als ich als kleiner Bub noch in Kleinhüningen lebte, gab es das Stücki noch nicht. Die Zeiten verändern sich schnell. Was wird in zehn Jahren sein, was wird sein nach all den dunklen Wassern, die in dieser Zeit die Birs hinabfliessen. Werde ich jemals die Chance haben, mich als Mister TriRegio zu bewerben? Was werde ich der Jury auf ihre Fragen antworten und werde ich auf der Bühne meine Schuhe ausziehen können, um das Publikum zum Kreischen zu bringen? Ich nehme einen kräftigen Schluck und Bier und weiss: TriRegio hin oder her, ich hätte nur gerne Christa Rigozzis "drei Regionen" geleckt. Doch diese Worte bleiben unausgesprochen.

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