Maras Zigaretten
Liebes digitales Tagebuch
Ich träumte heute Nacht von Mara. Sie ist eine alte Frau aus
dem bosnischen Städtchen, aus dem ich komme. Sie ist kauzig, laut und sagt zu jedem
und bei jeder Gelegenheit, er solle, ich werde es sanft ausdrücken, mit der
eigenen Mutter intim werden. Böse meint sie das nicht, meistens jedenfalls. Sie
ist das, was man als Stadtoriginal bezeichnen würde. Und in einer Stadt, die
nicht unwesentlich von Psychopathen, Kriegstraumatisierten, Alkoholikern und
Frauenschlägern bevölkert ist, ist das ein Ruf, den man sich auch erst
erarbeiten muss. Sie ist ein Ästchen des ureigenen Wahnsinns, den jedes
bosnische Kaff anzieht, gespeist aus den Gespenstern der Vergangenheit und dem
Geist der Gegenwart.
Diese Mara also, die dem Papst höchstpersönlich nahelegen
würde, seine Mutter zu… -Gott behüte diese meine Zunge- hat die mir
sympathische Angewohnheit, wie ein Türke zu rauchen. Ich mochte sie, so wie ich
mit den meisten Menschen eine innere Verbindung fühle, die immer und zu jeder
Gelegenheit den verfickten und weniger verfickten Umständen des Alltags mit
einem Glimmstängel für einen kurzen Moment entweichen und einen Augenblick der
Erlösung und Harmonie in dieser einfachen Tätigkeit finden können. Das alte
Grossmütterchen war ein interessanter Gesprächspartner, wenn man an linear
verlaufenden Konversation nicht allzu sehr hing.
Ich habe sie leider schon lange nicht mehr gesehen und weiss
nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebt. Obwohl ich nicht sagen kann, dass ich
sie kannte, so wie man einen nahen Menschen kennt, hat sich ein Bild von ihr in
meine Erinnerung gebrandmarkt und ich wäre traurig und betrübt, sollte sie
nicht mehr am Leben sein. Ich stelle mir bildlich vor, wie diese alte Mara
Gevatter Tod, der kommt, um sie abzuholen, in der tiefen Nacht in ihrem Zimmer
erwischt und ihm gelassen, ruhig, aus ihrem Mund, der immer zu einem Lachen
verzogen ist, ihren Lieblingsfluch an den Kopf wirft, ehe er sie, verdutzt,
überrascht, vielleicht selber lachend, nach oben mit sich nimmt.
Einmal, als Mara eines warmen Sommertages in die Kneipe
meines Onkels gekommen war, um, was sonst, eine zu rauchen und etwas zu
trinken, zeigte sie mir ihr Päckchen Zigaretten, Marke Marlboro Rot. Das
Päckchen war leer. Dann holte sie ein anderes Päckchen hervor, irgendeine
bosnische Schundmarke, und tat die Zigaretten aus diesem vollen Päckchen in das
Leere. Als ich sie fragte, warum sie das tat, sagte sie mir, sie könne sich
doch nicht mit diesen Billigzigaretten sehen lassen.
Wahrscheinlich fiel nie jemandem der feine Markenschriftzug
auf, der auf Zigaretten oft zwischen dem Filter und dem Tabak ist, wenn sie
ihre falschen Marlboros hervorholte und in den Mundwinkel schob. Aber was würde
passieren, wenn sie jemand nach einer Zigarette gefragt hätte und dann der
stinkende Tabak irgendeiner Billigmarke die Lungen füllen würde? Vielleicht
fragte sie auch nie jemand danach, denn sie war, wann immer ich sie sah, allein
unterwegs.
Ich sage euch, in diesem Marlboro-Päckchen der alten Mara
steckten weit mehr als nur falsche Zigaretten und hypothetische Fragen. Darin
befand sich auch die Essenz einer ganzen Zeit, die, solange das Äussere etwas
vorgibt, das Innere, das stinkend, schlecht, das Gift und Galle sein kann, aber
auch wundervoll und schön, kaum so wahrnehmen wird, wie es ist. Vielleicht ist
Mara nur deshalb ein Stadtoriginal, weil sie eben so aussieht und sich so
benimmt, wie sie es tut. Vielleicht ist sie aber auch das Päckchen einer
bosnischen Schundmarke und drinnen sind die Marlboros mit dem feinsten Tabak
von irgendwelchen sonnenbeschienenen Feldern in den exotischsten Ecken der
Welt.
Natürlich denkt Mara über solche Dinge nicht nach.
Vielleicht sollte ich mal mit ihr darüber reden, wenn wir uns wiedersehen, auf
der Strasse oder in der Kneipe, in unserem bosnischen Städtchen, in dem die
Gespenster der Vergangenheit und der Geist der Gegenwart am hellen Tag und in
der dunklen Nacht zwischen den Gassen und über die Strassen ziehen. Früher oder
später, ich bin mir sicher, würde sie mir dann, nun, ihr wisst ja was, sagen.
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