Ratko Mladic

Am Donnerstag der letzten Woche ist Ratko Mladic auf serbischem Boden, von serbischen Behörden, festgenommen worden. Damit verliert der letzte grosse Name unter den Kriegsverbrechern des letzten Krieges in Jugoslawien seine Freiheit. Bald wird er seinem ehemaligen Chef Karadzic in Den Haag Gesellschaft leisten können.

Man fand Mladic in einem Dorf unweit der Grenze zu Rumänien, der Heimat von Vlad Tepes dem Pfähler, der als Dracula in die Geschichte eingegangen ist, weil er die einfallenden Türken zu Haufe auf in Boden gerammte, zugespitzte Pfähle aufspiessen liess. Als Abschreckung für die Invasoren aus dem Osmanischen Reich.
Mladic hatte keine mächtigen Invasoren zu fürchten. In seiner Funktion als militärischer Führer der bosnischen Serben hat er sich ausgezeichnet als Belagerer von Sarajevo und als Schlächter von Srebrenica.
Sarajevo; eine der am längsten belagerten Städte in der Geschichte der Menschheit.
Srebrenica; die UNO-Schutzzone; die offizielle Bezeichnung führt Mladic ad absurdum, denn er überrennt die Stadt ohne Gegenwehr. Der niederländische UNO-Kommandant und seine Truppen, eigentlich für den Schutz der Enklave verantwortlich, bleiben bescheiden im Hintergrund. Den UNO-Kommandanten wird man später auf einem Foto mit Mladic ein Gläschen Pflaumenschnaps trinken sehen, während zur gleichen Zeit, und das sieht man auf dem Foto natürlich nicht, Männer und Knaben in die Busse verladen und zu den Hinrichtungsstätten gefahren werden.
Knapp 10 000 Menschen, bosnische Muslime, werden in diesen Tagen von den Männern Mladics exekutiert. Die Erschossenen sind keine Soldaten. Zivilisten, Bewohner von Srebrenica. Nicht, dass es eine Rechtfertigung wäre, wenn jeder einzelne Erschossene Soldat gewesen wäre, denn nicht einmal gefangene Soldaten darf man erschiessen. Nicht einen, nicht 10 000.

In der glanzvollsten, an Stil nicht zu überbietenden Zeitung der Schweiz, dem Blick, die üblichen Kommentare zur Verhaftung. Einige Glückwünsche, Vorwürfe, dazwischen die Frage, die Sorge, ob Serbien jetzt tatsächlich schnell in die EU eintreten dürfe, ob man mit einer Einwanderungswelle rechnen müsse. Mladic scheint hier mehr als das Opfer einer europäischen Verschwörung, von den Serben verkauft für eine rasche Aufnahme. Ein Blick-Leser schreibt, wenn die EU so funktioniere, dann solle die Schweiz dem Saftladen eh nicht beitreten.
Zu lesen immer das Selbe. Doch welches Interesse, möchte ich diesen Blick-Leser, diesen Schweizer fragen, dieser "Saftladen" wohl an der Verhaftung Mladics hat. Will die EU mit seiner Verhaftung Milliarden verdienen? Denkt der Leser das? Wo genau ist hier die europäische Verschwörung? Die böse EU, die dem Schlächter den Prozess machen will?
Im Fernsehen einheitliche Kommentare zur Verhaftung. Viele Glückwünsche, die Aussicht, man werde Serbien nun mit offeneren Armen in der EU empfangen können.

Karadzic sah bei seiner Verhaftung aus wie ein indischer Guru. Verfilztes, langes Haar, Bart und Hornbrille. Er schien verrückt, aber nicht gebrochen. Er führte nach dem Krieg nicht das Leben, das einen dazu verleiten würde zu denken, der Mann sei an der Last seines Gewissens zerbrochen. Zumindest verleitete es mich nicht dazu.
Mladic hat nichts von einem Exzentriker. Der Verhaftete auf dem Bild in der Zeitung sieht glanzlos und erschöpft aus. Es heisst, er sei verwirrt. Vielleicht schauspielert er, vielleicht nicht. Ich kann es nicht beurteilen. Auf den Bildern aus dem Krieg, die man von ihm kennt, ist Mladic eine Erscheinung. Fester Körperbau, strahlende Augen, ein Gesicht, das jeden Soldaten verleiten könnte, ihm in die Hölle zu folgen. Bekanntlich taten sie genau das.

Man mag sich der Tragweite dieser Verhaftung nicht bewusst sein, wenn man den vergangenen Krieg nur aus dem Fernsehen kennt. Zu Beginn des Krieges drohte Karadzic im bosnischen Parlament, die Völker Bosnien-Herzegowinas würden sich auf einen Pfad der Selbstzersörung begeben, sollten sie die Unabhängigkeit von Jugoslawien proklamieren. Fast 20 Jahre später gibt es Jugoslawien nicht mehr; die Völker Bosnien-Herzegowinas und Jugoslawiens bestehen immer noch, frei und unabhängig, in eigenen Staaten, mit eigenen gewählten Regierungen.
Karadzic wartet auf seinen Prozess. Milosevic, der grosse Kriegstreiber und Ideologe der grossserbischen Idee, erhängte sich in seiner Zelle. Und nun, als Abschluss des Kapitels, ist Mladic verhaftet worden.

Weichspülende Historiker, Politiker und der übrige Abschaum verweisen darauf, man müsse nun auch die übrigen Schuldigen, diejenigen, die es auf Seiten der Bosnier, der Kroaten und der anderen Völker gebe, noch erwischen, um die Aufarbeitung des Krieges beginnen zu können. Unbestritten, Verbrechen wurden begangen auf allen Seiten der Kriegsparteien, ohne Ausnahme. Die Schuld am Beginn des Krieges liegt jedoch bei den Serben allein. Die Unterdrückung durch Serbien im Staatsgebilde Jugoslawiens, die Bevorteilung Serbiens allein und der von Milosevic und Karadzic und der orthodoxen Kirche gesäte Nationalismus haben erst zu den Aufständen in den übrigen Republiken geführt und den Ruf nach Selbstständigkeit erklingen lassen. Kein Historiker, keiner, der denkt, er müsse hier Kritik an den Umständen äussern, wird mir etwas anderes erzählen als das, was ich von meinen Eltern, Grosseltern, Mitmenschen gehört und gesehen habe und dessen Folgen wir alle, die wir heute in der Schweiz und nicht in der eigenen Heimat leben, tragen.

Serbien trägt die Schuld am Krieg alleine. Doch Schuld kann getilgt werden. Serbien hat einen grossen Schritt zur Begleichung seiner Schuld getan. 

Kommentare

  1. Überrascht von deiner ungewohnten Ernsthaftigkeit, aber sehr schön geschrieben.

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