Lauschet den Alten und dem Fernseher

Sie haben uns die Wohnung gemacht. Irgendwas war mit den Wasserleitungen nicht in Ordnung, deshalb haben sie Leute geschickt, die von morgens früh bis abends spät in der Wohnung gearbeitet haben. Fragt mich nicht, wo genau das Problem lag; es wurde mir mit einem Schreiben mitgeteilt, aber ich habe es nur überflogen, mit derselben Aufmerksamkeit, mit der ich die Biografie von Tom Cruise in jenem Sommer überflogen hatte, als ich das Licht des Tages mied, weil meine Freundin mich verlassen hatte. Diese Leute, die gekommen waren, trugen blaue Ganzkörperanzüge und sie waren, wenn ich sie richtig gezählt hatte, zu fünft. Am ersten Tag spannten sie einen blauen Kunststoffteppich quer durch die Wohnung, danach sah meine Wohnung aus wie der Empfangssaal für eine Charityveranstaltung des Blauen Kreuzes.

Alles deutete darauf hin, dass die Arbeiten dringend nötig waren, sonst wäre wohl mein Heim, meine Bleibe, mein Lebensmittelpunkt irgendwann mal geflutet worden wie das Tal beim Bau des Drei-Schluchten-Staudamms in China. Die Würze in diesem sonst unwürzigen Thema indes ist, dass ich vier ganze Tage lang kein fliessendes Wasser hatte. Ich konnte nicht in der eigenen Dusche duschen, nicht im eigenen Klo urinieren und kein Geschirr abwaschen. Durchaus angenehm, ich war abends zum Nichtstun verdammt. Ich ass aus Tellern, die ich einfach in die Spüle legte, ich trank aus Flaschen und musste mich keiner Körperhygiene widmen. Nach zwei Tagen spürte ich einen pelzigen Belag auf den Zähnen, wenn ich mit der Zunge drüberfuhr. Es war eine schöne Zeit, so ohne Wasser.

Nur eines machte das Ganze etwas schwierig und trübte die Grenzerfahrung: Ich konnte, wie erwähnt, nicht urinieren.

Was tat ich also? Ich ging nicht etwa nach draussen ins Gebüsch oder kaufte mir Inkontinenzwindeln wie sie die Älteren tragen, denen wir unseren uneingeschränkten Respekt schulden, nein, ich tat etwas, wovon ich bisher nur in Geschichten gehört hatte: Erfahrene Ex-Jugoslawen, die im Leben unzählige Male die Strecke Schweiz-Bosnien und zurück gefahren waren, berichteten davon, dass sie, um schneller bei den Liebsten zu sein, so wenig Halt wie möglich machten, nichts assen und kettenrauchend, um den Geist mit Nitkotin wach und frisch zu halten, das Auto wie ein Rennpferd über die nächtlichen Autobahnen peitschten. Doch was taten diese Helden der Autobahn, wenn sie wirklich dringend mussten, wenn der Ruf der Natur auf die Blasen drückte, doch der Ruf der lieblichen Heimat in deren Kopf mindestens genauso laut erhallte? Sie nahmen eine leere Plastikflasche, führten sie an das primäre Geschlechtsorgan und strullerten rein. Mit einer 1-Literflasche überstand man den ganzen Weg und musste nur halten, um zu tanken. So ging das. Man muss natürlich ein Mann sein, damit das klappt. Ich tat also, ihr werdet das verstehen und mir verständnisvoll zunicken, weil ich zufälligerweise ein Mann bin, genau das selbe.

Bei Vollendung der Rohrarbeiten hatte ich eine grosse Colaflasche gefüllt und eine kleine Wasserflasche zur Hälfte. Ich hätte jetzt natürlich alles wegschütten und in die Kanalisation befördern können, da ich mittlerweile wieder fliessendes Wasser hatte. Aber das schien mir eine Verschwendung, denn ich hatte mal im Fernsehen eine Reportage, eine derjenigen, die auf arte laufen, über afrikanische Kindersoldaten gesehen, die bei Wassermangel den eigenen Urin trinken mussten. Wer also war ich, dass ich die in gewissen Kreisen - ihr wisst, von welchen Kreisen ich rede - als Natursekt bezeichnete Flüssigkeit so verschwendete? Ein kleiner Mensch unter vielen und nichts mehr, deshalb bot ich meinen Urin auf amazon zum Verkauf an, was mir als einzig würdiger Umgang mit der pikanten Materie erschien, denn auch das wusste ich dank des Fernsehers: Vor grossen Sportereignissen decken sich Agenturen und Sportler für allfällige Dopingtests mit sauberem Urin ein, ohne Aufputschmittel will ich damit sagen, frei von Doping, saubere Ware. Sozusagen Natursekt bio, oder, wenn das einer aus der Krim anbieten würde, Krimsekt bio. Würde sich sehr gut verkaufen, denn Krimsekt hat einen ausgezeichneten Ruf unter Sektliebhabern. Auch das weiss ich aus dem Fernseher.

Lausche dem Fernsehen und lausche den Alten, dann gehört dir die Weisheit der Welt.

Und sieh mal an, da kommt in diesem Eintrag die Krim vor und mit keinem Wort erwähne ich den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Was soll ich sagen? Danket dem Fernseher, es wurde schon alles gesagt hierzu. Denn wer ab und zu reinschaut, weiss, wie es sich verhält: Putin ist böse, der Westen ist gut.

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