Jugoslawische Herbstnachtträume

 Liebes (Traum)Tagebuch…

Wahrlich, des Menschen Hirn ist ein Wunderwerk der Natur. Ich habe das gerade vor einigen Stunden wieder realisiert, als ich, mitten in der Nacht und noch mit Sabberkruste in den Mundwinkeln, aus dem Bett aufschreckte. Selten hatte ich einen derart merkwürdigen, verwinkelten, zuweilen aber auch epischen Traum wie den, dessen elegantes Netz sich beim letzten Schlaf in meinem Kopf gesponnen hatte.

Die Szenerie war folgende: Ich stand auf einem weiten Feld irgendwo in der bosnischen Einöde. Das ausgebleicht grüne Gras unter meinen Schuhen war hart von einem langen und trockenen Sommer, in der Ferne erhoben sich sanfte, mit Tannen und anderen Bäumen bewachsene Hügel in den trostlos grauen Herbsthimmel meiner heimatlichen Gefilde. Mit einigen Männern stand ich da, wir trugen alle in etwa das Gleiche, erlesenen bosnischen Freizeitlook: Trainerhose, Basketballschuhe und bedruckte Hemden. Ich hielt eine dicke Zigarre in der Hand und wir warteten auf jemanden. Nicht auf irgendjemanden, das will ich wohl sagen, sondern auf einen hohen Vertreter der kommunistischen jugoslawischen Volkspartei, vielleicht auf Tito persönlich, aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Das Warten auf das hohe Tier zog sich allerdings dahin, niemand kam, einige Männer gingen wieder ihres Weges, neue kamen dazu, sie grüssten mich allesamt, was mir, ich gestehe, seltsam erschien. Dann, auf einmal, mischte sich unter uns, das gemeine Volk, ein Soldat der jugoslawischen Volksarmee. Elegante Uniform, die scharlachroten Akzente auf der eng anliegenden Offiziersjacke, adrett geschnittene Haare, hübsches Gesicht:

Brad Pitt stand vor mir, in Montur eines jugoslawischen Partisanen.

Auch er schien zu warten. Irgendwann aber ergriff er entnervt das Wort, an uns gerichtet. Er schüttelte uns allen die Hände und stellte sich vor, natürlich hiess er nicht Brad Pitt. Mich kannte er anscheinend bereits, er sah mich aus glänzenden, von Freude erfüllten Augen an, so ähnlich, wie mich eben alle Frauen ansehen, denen ich im Laufe des Tages begegne. Wir wurden von ihm in ein nahe gelegenes Gasthaus eingeladen, um nicht hier draussen in der Kälte, wo die Wölfe heulten, zu warten. Mit einer geübten Handbewegung liess Jugo-Brad im von trüben Licht erhellten Gasthaus zwei Tische zusammenrücken, an die wir uns -ich und er und einige Genossen- setzten, und auf die bald darauf Teller mit Reis und Schafsfleisch getischt wurden.
Aus mir unerklärlichen Gründen griff ich mit dem Löffel in Brads Teller und holte mir eine grosse Portion seines Essens. Er lachte nur, wir hatten es lustig zusammen. Schöne Menschen, ihr wisst das wohl, empfinden ja von Beginn an Sympathie zueinander.

Brad hielt nach dem Essen eine flammende Rede, an Details erinnere ich mich nicht, es ging wohl um Antikapitalismus, um den Kampf des Guten gegen das Böse und die Deutschen, die, ich nehme es vorweg, kurze Zeit später in den Traum eingreifen sollten. Motorengetöse aus der Ferne, das Rattern von Propellern unterbrachen uns jäh beim feierlichen Mahl. Die Genossen und ich stürmten zu den Bierglasfenstern und der graue Herbsthimmel über uns war auf einmal verdunkelt von deutsch-faschistischen Nazibombern, die sich uns näherten. Wir schauten, gebannt und stumm, auf den Tod, der sich uns unaufhaltsam näherte, ich hielt Brads Hand ganz feste. Er sah mich an, seine Lippen formten, kaum hörbar, die Worte: Es tut mir Leid, es war eine Falle… Genosse Tito. Er salutierte ein letztes Mal vor mir und gleissend helles Licht riss uns alle aus dem Leben.

Und da sass ich in meinem Bett, in meinem Zimmer, um mich herum dunkle Nacht, Schweissperlen auf der Stirn und Speichelkrusten in den Mundwinkeln. Ich hatte soeben die Geschichte des Partisanenwiderstands gegen die Deutschen im 2. Weltkrieg umgeschrieben; bei Gott, ich war für einen kurzen Moment Tito höchstpersönlich.

Fantastischer Traum, so unwirklich und verrückt, nicht wahr? Nun ja, aber bei weitem nicht so fantastisch, unwirklich und verrückt wie der Alptraum, in dem mit ungebändigter Emsigkeit die heutigen Balkanvölker, besonders wir Kroaten, auf ihre antifaschistische Vergangenheit spucken und sich lieber ein Käppchen mit einem U für Ustascha auf den hohlen Schädel stülpen.

Sieg heil!

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