2013

Als ich das letzte Mal hier etwas schrieb, war es noch 2012. Jetzt sind wir im Jahr 2013 und immer noch dreht sich die Welt, immer noch ist sie nicht von Lavaströmen versengt, von einer Eiszeit eingefroren oder von Ausserirdischen okkupiert worden. Wir leben immer noch in Freiheit, in unversehrten Häusern mit fliessendem Wasser, und wir müssen nicht bewaffnet aus dem Haus gehen, um uns vor infizierten Psychokillern zu schützen. Nur ein paar Tage älter ist sie geworden, unsere schöne Mutter Erde, und gerade hier, wo ich lebe und wo nachts die Wölfe heulen, bedeckt dicker, weisser Schnee die Landschaft. Wenn die Sonne darauf scheint, brennen einem die Augen, doch sonst ist der Anblick ein Inbegriff pittoresker, winterlicher Schönheit.

So weit, so gut.

Auch dieser Tage lächeln oder sehen uns mit ernster Miene Menschen auf zahlreichen Wahlplakaten an. Sie sind überall, diese Plakate mit den Menschen drauf: Sogar hier, wo nachts die Wölfe heulen und Füchse einen grüssen, wenn man spät abends auf dem Balkon steht und die letzte Zigarette vor dem Zubettgehen raucht. Ein gewisser Herr Albert Studer von der SVP fällt mir auf; er sieht aus wie ein Haubenfink auf Crystal Meth, bereit, einem jederzeit eins in die Fresse zu hauen, oder, um beim Bildnis des Haubenfinken zu bleiben, mit dem Schnabel die Augen rauszustechen. Wessen Geistes Kind er ist oder welche politischen Ansichten er vertreten will, falls man ihm seine Stimme gibt, kann ich aufgrund seiner Parteizugehörigkeit nur erahnen. Auf seinem Wahlplakat immerhin steht ein markanter Spruch: Ein Mann, ein Wort! Nun, hätte ich die Lust mich näher mit ihm zu befassen, wäre es zeitraubend wohl nicht, denn ein Mann, der seine Politik in einem Wort schlagkräftig wiedergeben kann, den dürfte zu verstehen nicht allzu schwer fallen. Einfach muss man bleiben und prägnant. Viel schwerer zu verstehen, geradezu unverständlich, sind mir die Argumente der Gegner der Abzocker-Initiative. Warum nur muss man alles, selbst das Grundlegende, das Natürliche, den minimalen Nenner im Verständnis von Recht und Unrecht, so durch Diskussionen aufweichen. Wenn man sich damit befasst, wie die Gegner der Initiative argumentieren, wird einem schwarz vor Augen, denn der Untergang der Welt liegt keinesfalls in Naturkatastrophen, in Kriegen und kosmischen Einflüssen: Nein, unser Niedergang wird dadurch besiegelt, dass wir die Löhne der Reichsten der Reichen beschneiden. Abwanderung, Steuerausfälle, Armut und natürlich, nie und nimmer zu vergessen, das Antasten der Heiligen Kuh, unserer Freien Marktwirtschaft, das höchste Sakrileg unserer Zivilisation; all das erwartet uns.

Was ist los mit den Schweizern?

Die Männer und Frauen, deren wichtigste Legende von einem Mann erzählt, der sich den Mächtigen, den Ausbeutern und Halsabschneidern in den Weg stellt, der einen Tyrannen tötet und den Charakter, den unbeugsamen Freiheitswillen dieses Volkes wie niemand sonst wiederspiegelt, kuschen jetzt vor den Habsbugern von heute, nur weil sie mehr Steuern in die Staatskasse buttern? Steuern, die sie wohlgemerkt dadurch zahlen können, dass sie Millionensaläre beziehen, weil sie viel Verantwortung tragen. Ja, das tun sie, ich neige mein Haupt: Sie entlassen einfache Arbeiter, auf deren Rücken sie ihre "Verantwortung" umsetzen, um ihre Saläre auch weiterhin halten zu können, sie verlagern Firmenteile, um günstiger zu produzieren und höhere Margen zu haben und sie gehen, wenn sie versagen. Respekt. Gerade, wenn man Millionen auf dem Bankkonto hat und nach dem Rücktritt Monate, oder gar Jahre, die ruhige Kugel schieben könnte. Geht es uns nicht allen genau so?

Wir leben in einer seltsamen Welt. Aber sie dreht sich noch. Sie wird nicht von einer Eiszeit in ihrem eisigen Griff gehalten, sie wird nicht von Lavaströmen durchflossen und niemand von uns geht in Ketten oder wird ausgepeitscht, weil er nicht gehorcht. Die einen fliehen vor Hunger, Leid und Krieg, fliehen, weil sie fürchten müssen, dass ihre Kinder, die kaum laufen können, an Hunger sterben; die anderen drohen zu fliehen, weil sie auf eine weitere Villa oder ein Ferienhaus mit Blick auf den See verzichten müssen. Ihre Kinder gehen in die Schulen eines der besten Bildungssysteme der Welt, sie können Nahrung zu jeder Zeit und im Überfluss beziehen, sie haben fliessendes Wasser und sie können sich frei bewegen. Und trotzdem drohen sie zu fliehen. Sollen sie doch, sollen sie gehen. Vielleicht dorthin, wo Kinder vor Hunger auf ihren Beinen nicht stehen können, wo sie mit ihren glasigen Augen auf ihre Eltern schauen, die gebrochen von Verzweiflung und Ohnmacht innerlich sterben. Sollen sie gehen und dort ihre Steuern zahlen.

Geht! Ein Mann, ein Wort. Wenn es nur so einfach wäre.

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