Wichsen gegen den Krebs

Ich hatte mal zehn Franken. Ich rede nicht von Angehörigen der westgermanischen Volksgruppe, ich will das klarstellen. Zu keiner Zeit besass ich zehn Menschen der genannten Ethnie, beispielsweise eingesperrt in jenem Kellerzimmer, das bei meiner Wohnung im Mietpreis enthalten ist. Ich halte nichts von Sklaverei, glaube nicht daran, dass man Menschen wie Dinge besitzen kann. Ich würde diese Menschen, die ich nicht in meinem feuchten Keller eingesperrt halte, auch nicht nur bei Wasser und Brot am Leben erhalten. Gäbe es sie tatsächlich, diese meine Sklaven, von denen ich spreche, bekämen sie nur das Feinste vom Feinsten zum essen. Aber sie existieren nicht, sind ein Hirngespinst und deshalb erübrigt sich diese Diskussion über dunkle Kellerräume und darin eingepferchte Menschen, die Platzmangels und dem Fehlen sanitärer Einrichtungen wegen in die Ecke koten müssen, neben der sie schlafen. Vergesst es, ich bitte euch, klopft nicht an meine Tür, nach Gespenstern suchend, wenn ihr nicht der Messias höchstpersönlich seid, der eine warme Unterkunft in der kalten Nacht sucht. 

Zehn Franken also hatte ich in meiner Brieftasche. Harte Schweizer Währung. Es war Mitte Monat. Bis der Lohn käme, würde noch viel graues Wasser im Rhein Richtung Holland fliessen. Doch was kümmert diesen mächtigen Fluss, der das idyllische Herz Europas mit seinen Wassern speist, meine pekuniäre Situation? Nichts, sage ich euch, und so fliesst er dahin, gemächlich wie eh und je und denkt nicht daran, sich zu sputen. Ich hatte die Wahl, ob ich mir etwas zu essen kaufe oder Zigaretten.
Das Erste braucht man zum Überleben. Diverse Organe sind, so der wissenschaftliche Konsens, von einer einigermassen regelmässigen Zufuhr an Nährstoffen abhängig, sonst geben sie den Geist auf, so wie damals mein schwarzer Audi A4, mein Panther, eines frühen Morgens im dichtesten Verkehr den Geist aufgab und ihn, Gott sei ihm gnädig, nie mehr wiederfand. Zehn Franken, das reicht für Trockenfleisch, für Brot und ein paar Zwiebeln. Ein bosnisches Festmahl.

Das Problem ist aber, sobald man etwas gegessen hat, merkt der einst am Hungertuch nagende Mensch, dass er eigentlich gar nicht hätte essen müssen und warten können, bis er abends zu Hause ist und die Frau ein anständiges Mahl auftischt, während Kerzen auf dem Tisch brennen, die nach Erdbeere und Vanille riechen oder nach gar nichts, auch das soll es geben. 

Es ist wie beim Masturbieren. Bevor man es tut, ist man wild darauf und will sich auf offener Strasse die Hose runter ziehen, sobald das Werk vollendet, die Giesskanne leer ist, schaut man an sich runter und denkt: Was für eine Vergeudung, welch sündhafter Trieb. Ich hoffe, Gott hat weggesehen.

Die zweite Option, eine Packung Zigaretten, schien bei weitem sinnvoller. Eine Packung, das sind zwanzig Zigaretten. Man ist einen ganzen Tag lang mit Zigaretten versorgt. Mindestens eines meiner Organe ist, habe ich bemerkt, nicht nur von Nährstoffen, sondern auch von regelmässiger Nikotinzufuhr abhängig. Es handelt sich um mein Gehirn, eine breiige Masse, die innerhalb meines Schädels wohnt und sich ab und zu, so wie jetzt eben, in Worten und Sätzen auf Papier manifestiert. Viele Menschen haben ein Hirn, noch mehr haben keins, doch die allerwenigsten haben eins wie meins. Es denkt simultan in zwei Sprachen, projiziert nachts Filme in meinen Gedanken und hat bei aller Qualität, die ich ihm keineswegs absprechen will, mir noch keinen einzigen brauchbaren Schulabschluss besorgen können. Ich werde ein bisschen wütend, ihr merkt es vielleicht.
Wie viel Geld habe ich schon in Tabak gesteckt, um diesem Organ dort oben, das es sich in meinem Kopf gemütlich gemacht hat, eine gute Zeit zu bescheren? Doch ich kriege im Gegenzug kaum etwas, es ist eine Schande. Mein Gehirn ist die Steuerbehörde: Es will und will viel, aber wenn ich mal etwas brauche, sind alle Leitungen besetzt. 

Ich hätte die Zigaretten nicht kaufen sollen. Ich hätte hart bleiben müssen wie ein Pornostar, der einen Drehmarathon vor sich hat. Ich hätte meinem Hauptschaltorgan eine Lektion erteilen sollen. 

Doch der Konjunktiv ist der Realität das, was der Mensch dem Menschen ist, der Wolf nämlich. Verstanden? Egal, wir machen hart weiter, hart gegen den Wind der Wirklichkeit.

Ich hätte das Geld spenden können. An die Brustkrebsforschung zum Beispiel. Das geht auch mich als Mann an, denn ich habe eine Freundin, die potentiell daran erkranken könnte und wie viele tausend Frauen da draussen gibt, die dieses Schicksal ebenfalls noch erwarten könnte. Nicht vom Schicksal Brustkrebs rede ich, sondern von dem, meine Herzensdame zu werden. Mit dem gespendeten Geld würde ich hornbebrillte, asketisch abgemagerte Forscher bei ihrer Arbeit unterstützen, wenn sie alchemistisch anmutende Flüssigkeiten in Reagenzgläser abfüllen. Ab und zu explodiert mal der Inhalt in einem der Reagenzgläser, während einer der Forscher mit musterndem Blick hineinschaut. Dann hat er plötzlich ein pechschwarzes Gesicht und Haare, die ihm zu Berge stehen. Ich habe das in diversen Zeichentrickfilmen gesehen.

Noch leichter wäre alles, wenn ich gar kein Mann, sondern eine Frau wäre. Ich hätte mir Zigaretten holen können und etwas gegen Brustkrebs tun. Wie? Ich sage nur: Mamming.

Für die meisten ist Mamming ein 3'000-Seelen-Kaff in der deutschen Provinz, doch Mamming ist mehr als das. Mamming ist Hoffnung. Mamming ist gelebte Humanität. Mamming ist die Aktion des Boulevardblattes Bild, bei der Frauen sich obenrum frei machen, ihre Brüste auf einen Alltagsgegenstand abstellen und sich dann ablichten. Die Bilder schenken sie dann nicht ihrem Freund, einem Verehrer oder dem Perversen aus der Nachbarschaft, der dann, Gott allmächtiger, der du bist im Himmel, bewahre, mit den Bildern irgendwas Abscheuliches tun könnte. Nein, man lädt sie hoch ins Internet. Dort sollen die frei zugänglichen Wichsvorlagen Frauen an die Brustkrebsvorsorge erinnern. All die Arschlöcher, vielleicht dachten wir falsch von ihnen und taten ihnen Unrecht mit diesem Stempel, die Bilder ihrer nackten Freundinnen ins Internet stellten, taten dies in prophetischer Voraussicht und im Gedenken an die Brustkrebsvorsorge aller Frauen. Gedankt wurden es ihnen mit der Kriminalisierung ihrer Taten und Strafverfolgung durch die Justiz, die blind wie ein Tiefseefisch der Menschlichkeit gegenüber war. Wir entschuldigen uns bei Juden, bei Zigeunern, bei Eingeborenen, doch hat sich jemand für die Stigmatisierung von Nacktbildhochladern entschuldigt? Nicht, dass ich wüsste. Nicht mal die Freundin der Frau des stellvertretenden Bürgermeisters von Stein am Ende der Welt, Kanton Aargau, konnte man für dieses Zeremoniell entbehren. 

Was ich weiss und ihr nicht: Die nächste grosse Bildaktion im Zeichen der Krebsprävention wird das Cuming sein, das den Schwerpunkt auf Prostata- und Hodenkrebs legen soll. Tausende Männer werden Bilder ihrer erigierten Penisse schiessen und damit das Internet überschwemmen. Ich mache mit, so wie es jeder anständige Mann tun sollte.

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