Brasilien - Kroatien

20.41

Vergesst die brennenden Barrikaden, das streikende Volk und die armseligen Favelas. Vergesst auch die ISIS im fernen Irak, sie hat noch ganze 160 km Abstand zu Bagdad, also cool down. Konzentrieren wir uns nun auf das Wesentliche in Form von 22 Männern mit millionenschweren Konten, die einem Ball aus Leder hinterherrennen. Das Eröffnungsspiel der WM 2014 steht vor dem Anpfiff.

Und was für ein Eröffnungsspiel das werden wird. Auf der einen Seite die feurigen Gastgeber, auf der anderen Seite die etwas besseren Jugos, wir Kroaten. Kein Duell der Giganten, ein Duell zwischen David und Goliath wird das. Ich bin ein kleines bisschen aufgeregt. Die Statistiken sind klar und deutlich auf der Seite der Brasilianer, aber ich scheisse auf Statistiken, so wie ich überhaupt auf kalte Zahlen und Logik scheisse. Gott soll entscheiden. Aber, ich fürchte es, nicht mal der Allmächtige wird heute eine schnelle Wahl treffen können. Beides sind erzkatholische Länder, obwohl man sagen muss, dass die Brasilianer viel Kredit beim Schöpfer mit ihrem Karneval verspielt haben. Das ist ein einziges, grosses Bumsfest; ich habe es mit eigenen Augen auf youporn gesehen. Die Kroaten stehen dagegen wie seit jeher fest im wahren Glauben: Die Kirche stark, die Menschen rechts, die Homosexuellen benachteiligt. Ich bin zuversichtlich.

21.19

Im Fernsehen läuft South Park. Es geht um die Piraten Somalias. Ich wollte, als ich klein war, immer was mit Kriminalität machen. Bankräuber, Dealer, Zuhälter, davon habe ich geträumt. Nur Pirat wollte ich nie werden. Es hat vielleicht damit zu tun, dass man mir auf balkanisch das Schwimmen beigebracht hat: Mein Vater hat mich in tiefes Wasser geschmissen und dann musste ich schwimmen. Schön war die Zeit als Kind an der Adria.

22.00

Los geht's. Die kroatische Hymne durchflutet wie goldener Sonnenstrahl das Stadion und lässt einen bunten Garten der Freude in meinem Herzen erblühen und einen Quell der Tränen aus meinen Augen fliessen. Ich esse Pizza, im Ofen wieder aufgewärmt, denn meine Freundin mag keine kalte Pizza. Ein kleines Stück Champignon mit Tomatensauce kleckert auf unsere neue Couch. Ich hoffe, sie sieht es nicht.

11. Minute

Ein Brasilianer, der aussieht wie einer von LMFAO, schiebt den Ball ins falsche Tor. Kroatien führt! Gott ist wahrlich auf unserer Seite! Ich springe vor Freude in die Luft. Die Pizza ist alle, ich bin satt.

29. Minute

Neymar, der Teamkollege vom LMFAO Typen, sieht aus wie eine fitte, gut gebaute, exotische und braun gebräunte Version von mir. Ich hasse ihn trotz unserer äusseren Ähnlichkeit, denn er schafft den Ausgleich. Verdammte Brasilianer.

Halbzeit

Meine Freundin ist neben mir eingeschlafen und beweist damit: Frauen sind nach zehn Uhr abends müde und schläfrig! Um die Nerven zu beruhigen, höre ich Sous Le Vent, im Duett gesungen von Celine Dion und Garou. Das Lied berührt mich, so wie die eine Lehrerin in der Primarschule mich damals berührt hat, an den ganz besonders empfindlichen Stellen. Als Celine Dion auf dem Bildschirm erscheint, kommt mir kurz die Pizza hoch.

51. Minute

Langweilig. Ich schaue mir die Bandenwerbung an und erkenne meine Kreditkartenfirma VISA als Sponsor. Gerade gestern haben sie mir einen Brief geschickt, mit der Aufforderung, endlich meine Schulden zu begleichen. Da sie jetzt aber in Brasilien auf Werbetour sind, kann ich mir wohl noch ein bisschen Zeit damit lassen. Glück gehabt!

63. Minute

Ich weiss genau, warum ich sonst keinen Fussball schaue. Meine Augenlider werden schwer, ich bin des Schlafes. Meine Achseln riechen nach Schweiss. Poesie liegt in der Luft.

67. Minute

Ich gebe auf. Ich werde eine Prognose wagen und schalte ab: Brasilien gewinnt 2:1. Willkommen bei der WM 2014.

Gute Nacht, ich schalte ab. 

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